Bassem Youssef gab die Herzchirurgie auf, um Komiker zu werden. Doch selbst eine Zuschauerzahl von 40 Millionen machte ihn nicht unantastbar. Nun zünden seine Pointen in New York.
Susanna Petrin, New York
Die Augen stechend blau, die Zunge beissend scharf. Bassem Youssef steht auf einer Bühne am Broadway und teilt aus, Süsses wie Saures, gegen alle Seiten: die alte Heimat, Ägypten, die neue Heimat, die Vereinigten Staaten. Gegen Muslime, Christen; gegen Braune, Weisse. Was er als Schmeichelei beginnt, endet oft in beissender Kritik – oder umgekehrt.
Eine kleine Kostprobe: «2016 hat Amerika zehn Milliarden Dollar für den präsidialen Wahlkampf ausgegeben. Zehn Milliarden! Und am Ende habt ihr dafür Donald Trump bekommen. Wir haben dieses Problem nicht: Im Nahen Osten gibt’s Arschlöcher gratis.»
Die Hälfte Ägyptens schaute ihm zu
Es ist Bassems Youssefs erster Auftritt am Broadway in New York, im auf Comedy spezialisierten Klub Carolines. Der Broadway ist Bassems neuster Meilenstein. Zum dritten Mal in seinem Leben hat er sich nun, mit 47 Jahren, seine Karriere neu aufgebaut. Und im Gegensatz zu seiner alten Heimat Ägypten, wo er der Einzige seiner Art war, wimmelt es in den USA nur so von Comedians. «Meine Alleinstellungsmerkmal ist meine Geschichte», hatte er tags zuvor im Gespräch gesagt, «ich sehe mich als Brücke zwischen zwei Kulturen.»
In einer Wäschekammer in Kairo hatte seine Comedy-Karriere begonnen. Dort nahm Bassem Youssef 2011 seine ersten Satiresendungen auf, fünfminütige Youtube-Beiträge. Schneller, als nasse Kleider trocknen können, wurde er bekannt: Bereits nach wenigen Episoden folgten ihm 5 Millionen Besucherinnen und Besucher. Nochmals einige Waschgänge später kam der Ruf ans Fernsehen, wo ihm bald fast die Hälfte des Landes zuschaute. Bassem Youssef hatte es geschafft. Er war zum Fernsehstar geworden, zum Jon Stewart Ägyptens, den sogar Jon Stewart als Gast besuchte. Er fühlte sich wie im Zeitraffer.
«Plötzlich war ich am Fernsehen, plötzlich moderierte ich eine der grössten Shows im Nahen Osten. 40 Millionen Menschen schauten sich jede Episode an. Das ist eine astronomische Zahl, das sind Fussball-Weltmeisterschafts-Zahlen im Nahen Osten!», erzählte Bassem Youssef diesen Oktober an der Columbia-Universität vor Studenten. In Vorträgen wie diesen – aber auch in Interviews, auf der Bühne, in seinem Buch «Revolution for Dummies» oder im autobiografischen Film «Tickling Giants» – fasst er wieder und wieder zusammen, was ihm bisher geschah.
Der Herzchirurg wird Comedian
Seine medientaugliche Geschichte fängt mit der ägyptischen Revolution an. 2011 waren plötzlich Dinge möglich, die unter der Jahrzehnte währenden Militärdiktatur nicht möglich gewesen waren. Bassem Youssef, damals 37, nutzte diese neue Freiheit, um in der besagten Wäschekammer seinen Karrierewechsel zu wagen: vom Herzchirurgen zum Comedian.
Als Sohn einer mittelständischen Familie im Nahen Osten habe man drei berufliche Optionen, pflegt er auf der Bühne zu scherzen: «Man wird Ingenieur, Arzt – oder eine Enttäuschung.» Dem hyperintelligenten Bassem Youssef gelang es, auf jenem dritten, unerhörten Weg seine Eltern stolz zu machen: Seine TV-Show «Al-Barnameg», schlicht: «das Programm», war die erste politische Satiresendung im ägyptischen Fernsehen. Und sie wurde am Anfang – auch das eine regionale Seltenheit – live ausgestrahlt.
Die neue Freiheit währte nicht lange. Zuerst kamen die Muslimbrüder, die versuchten, ihn zu stoppen. Dann kam das Militär, dem es gelang, ihn zu stoppen. Was ihn damals in Ägypten zwei Mal fast ins Gefängnis brachte, bietet ihm heute in den USA hervorragenden Stoff für die Bühne. Besonders viele Lacher erntet die Geschichte, als er sich einem Haftbefehl folgend den Muslimbrüdern stellte. Er war der Beleidigung des Präsidenten und des Islams sowie der Störung des sozialen Friedens und des sozialen Gefüges bezichtigt worden – «whatever the fuck that means» –, «was zum Teufel das auch bedeuten soll».
Der Sketch beginnt mit einem furchterregenden Offizier, der vor dem Gerichtsgebäude zu ihm sagt: «Ich brauche etwas, bevor wir reingehen.» «Was?», fragt Bassem ängstlich. «Können wir ein Selfie zusammen machen, meine Kinder lieben Sie.» Drinnen verlangt der Staatsanwalt, dass ihm der Komiker sämtliche seiner Witze erkläre. «Ist das meine Folter?», fragt Y0ussef. Doch dann will und will die CD auf dem Computer der Staatsanwaltschaft nicht anspringen. Kein Wunder: Der PC läuft mit dem Windows-95-Betriebssystem. «Ja, Ägypten ist nicht nur im Verkehr steckengeblieben, sondern auch in den Neunzigern.»
Bassem Youssef sitzt also da, langweilt sich schrecklich: «Plötzlich sehe ich mich aufstehen und sagen: ‹Brauchen Sie damit Hilfe?› Und ehe ich mich versehe, bin ich ihr IT-Mann, dabei behilflich, die Beweise gegen mich selber abzuspielen.» Grosses Gelächter.
Flucht in einer Novembernacht
Die Muslimbrüder stellten sich zu blöd an. Das Militär war gerissener. Bassem Youssef wurde von seinem eigenen Sender für seine Sendung angeklagt und schliesslich zu einer Strafe von 100 Millionen Pfund verurteilt. Die höchste Strafe, die in seiner Branche bis dahin je verhängt worden sei. Es war klar, dass er dieses Geld nicht hatte, und dass eine Nichtbezahlung wahrscheinlich zu seiner Inhaftierung führen würde. In einer Novembernacht 2014 warf Bassem Youssef in aller Eile so viel wie er konnte in zwei Koffer und raste mit Frau und Kind zum Flughafen. Via Dubai gelangte er nach Los Angeles, wo er bis heute lebt, mittlerweile mit einem zweiten Kind, seinem «Anker-Baby».
Warum verstehen Diktatoren keinen Spass? Beim Gespräch in New York sagt Youssef: «Autoritäre Figuren – sogar jemand wie Trump, den nur das System davor bewahren konnte, ein richtiger Diktator zu werden – haben nicht viel, auf das sie sich stützen können: nur falschen Respekt und Angst.» Aber die Leute könnten sich nicht wirklich vor jemandem fürchten, über den sie lachen. «Humor nimmt ihnen ihre furchterregende Aura, unterminiert ihr furchterregendes Image.»
Witze zwischen den Sprachen
Auf der Bühne wirkt Bassem Youssef so manisch wie sympathisch, vor Studenten zugänglich, im persönlichen Gespräch kühl und kurz angebunden. Einen Moment lang kratzt er sich mit dem Aufnahme-Mikrofon selbstvergessen am Bart. Mag sein, dass er all seine Energie in die öffentlichen Auftritte steckt, ausländische Journalisten sind da zweitrangig. Es dürfte ihn sehr viel Kraft kosten, sich als exilierter Satiriker in einer fremden Sprache und einer anderen Kultur neu zu etablieren.
«Comedy in einer Fremdsprache ist schwierig», räumt er ein. «Es sind nicht nur die Worte: Es geht um Rhythmus, Tempo, Ausführung, Pausen. Man muss die ganze Stimmung verkörpern. Was im Arabischen funktioniert, funktioniert nicht genauso auf Englisch.» Er übe, übe und übe. Manchmal schlage ein Witz erst nach dem zehntausendsten Mal beim Publikum ein; eine winzige Nuance könne den Unterschied machen.
In New York funktioniert sein Programm. Das Publikum am Broadway klatscht begeistert. Viele haben ähnliche Wurzeln wie Bassem Youssef, verstehen genau, was er meint, wenn er etwa sagt, dass Amerikaner nach einem Bombenanschlag ihr Bedauern ausdrückten, während Araber ängstlich auf den Namen des Attentäters warteten: «Oh, Gott, lass es nur ja bitte keinen Mohammed sein, bitte ein christlicher Name!» Seinen Sohn habe er Adam getauft – ein Muslim-superlight-Name, der dem Kind die Integration und die Flughafenkontrollen erleichtern solle. Der Schlussappell des Comedians Bassem Youssef ist ernst: Araberinnen und Araber sollen in den USA furchtlos sich selber sein dürfen.
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